Moderne Analysemethoden erlauben ein besseres Verständnis der Bewegung von Liniendefekten in Volumenkristallen. Liniendefekte oder „Versetzungen“ sind ein häufig beobachtetest Phänomen und stellen einen Abweichung von der sonst strengen atomaren Ordnung des Kristallgitters dar. Diese Gitterfehler beeinflussen sowohl die mechanische, elektrischen und optischen Eigenschaften der Kristalle, als auch ihr Wachstum. Um hochwertige Kristalle zu Züchten, ist das daher wichtig das Entstehen von Versetzungen zu verstehen und ihre Dichte zu regulieren. Auch wenn es von der konkreten Anwendung abhängt, wirken sich Versetzungen in den meisten Fällen nachteilig auf die Kristalleigenschaften aus.
Sobald eine Versetzung im Kristall vorliegt, kann sie nicht einfach an einem Punkt enden, sondern durchzieht den Kristall bis sie dessen Oberfläche erreicht. Versetzungen können sich jedoch ab einer gewissen Temperatur, angetrieben durch inneren mechanischen Stress, im Kristall bewegen. Diese Bewegung findet nicht in beliebiger Richtung statt, sondern folgt grundlegenden kristallographischen Regeln, die sich aufgrund der zugrundeliegenden atomaren Mechanismen (sog. „Klettern“ oder „Gleiten“) ergeben. Das Beeinflussen dieser der Versetzungsbewegung stellt daher einen möglichen Ansatz zur Verringerung der Versetzungsdichte dar.
Dreidimensionale (3D) Bildgebung von Versetzungslinien kann einen wertvollen Einblick in die Mechanismen der Entstehung und die Dynamik von Versetzungen geben und so Rückschlüsse auf den Wachstumsprozess erlauben. Auf diesem Wege erhalten Wissenschaftler indirekten Zugang zu mechanischer Spannung, Kristallform oder den Gehalt von Verunreinigungen während des Wachstums. Dies wurde jüngst in einer gemeinsamen Veröffentlichung von Wissenschaftlern des IKZ und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) gezeigt. Durch Nutzung von 3D Röntgenbildgebung unter Beugungskontrast wurde der 3D Linienverlauf sowie die Burgersvektoren der Versetzungen in einem Aluminiumnitrid (AlN) Einkristall rekonstruiert, der mittels physikalischer Gasphasenabscheidung auf einem Keim am IKZ gewachsen wurde (s. Abb. 1) [1].
Die verwendete Methode, “XDL“ (engl. „X-ray diffraction laminography“), erfordert einen intensiven, parallelen sowie monochromatischen Röntgenstrahl wie er nur an Synchrotron-Strahlungsquellen (hier PETRA-III, Hamburg) verfügbar ist. Hochpräzise Mechaniken sind außerdem nötig um die Rotation der Probe um einen bestimmten Gittervektor zu ermöglichen. Der so gewonnene Zugang zu 3D Informationen erlaubt eine Rekonstruktion des beleuchteten Volumens unter Nutzung etablierter Algorithmen.