News | 03-01-2017

Der Kristallzüchter

Mario Brützam lässt am IKZ Kristalle heranreifen

Mario Brütznam an der Czochralski-Züchtungsanlage

Die exakte Temperatur, nicht zuletzt darauf kommt es an. Ist die Schmelze zu heiß, löst sich der Keim auf wie Würfelzucker im Kaffee. Ist sie zu kühl, bilden sich „spontan“ Kristalle, mit denen der Züchter nichts anfangen kann. Was ist ihm lieber? „Ein bisschen zu kalt“ –  dabei geht wenigstens der Keim nicht verloren.

Mario Brützam empfängt zum Gespräch an seiner Wirkungsstätte in der Max-Born-Straße. Ein stetes Rauschen umgibt den Besucher, der die Züchtungshalle betritt. Kühlwasser, erklärt Brützam. Unentbehrlich an diesem Ort, denn im Inneren der sechs wuchtigen Apparate, die zu beiden Seiten aufgereiht stehen, entwickeln sich enorme Hitzegrade. Verchromte Kessel, so meint man auf den ersten Blick. „Züchtungsanlagen“, sagt Brützam. Brutkästen wäre vielleicht auch ein passender Begriff, denn was im Inneren stattfindet, ist einem Brutvorgang immerhin ähnlich: „Man braucht schon eine gewisse Geduld.“

Was dabei herauskommt, ist neben der Tür in einem Schaukasten zu besichtigen. Bernsteinfarbene, grüne, rote, violette, weiße Glasbrocken, so sehen sie aus. „Kristalline Festkörper“, sagt der Fachmann. Im Durchschnitt dauert es eine Woche, bis ein solches Gebilde herangereift ist. Kristallzüchter: „Den klassischen Beruf gibt es eigentlich nicht.“ Jedenfalls hätte sich Brützam in den Anfängen seines professionellen Daseins davon nichts träumen lassen. Der heute 57-jährige gebürtige Berliner absolvierte zu Vorwendezeiten im Werk für Fernsehelektronik in Oberschöneweide eine Ausbildung zum Elektronikfacharbeiter, anschließend eine Spezialisierung als Mikroelektroniker.

Zu Beginn der Neunziger – die DDR und bald auch das Werk in Oberschöneweide waren Geschichte – stieß Brützam auf eine Stellenausschreibung des Leibniz-Instituts für Kristallzüchtung (IKZ). Gesucht wurde eine Fachkraft mit Erfahrung in Flüssigphasen-Epitaxie, einem chemischen Beschichtungsverfahren. Das hatte Brützam jahrelang gemacht. Im September 1992 begann sein neues Berufsleben in Adlershof.

Die kristallinen Festkörper aus der Züchtungshalle in der Max-Born-Straße sind vielseitig verwendbar. Sie leiten Wärme oder Elektrizität, bündeln Laserlicht und reflektieren Ultraschall, taugen als Drucksensoren in Fahrzeugmotoren. Jedem Kristall das individuelle Gepräge zu verschaffen, ist Aufgabe des Züchters.

Er mischt die Grundsubstanzen, die in einem Tiegelchen aus extrem wärmebeständigem Metall, umgeben von einem keramischen Aluminiumoxid-Zylinder, auf bis zu 2.000 Grad erhitzt werden. Es folgt das „Animpfen“. Auf der Spitze eines Iridiumröhrchens senkt sich der „Keim“, ein kleiner, mit der Schmelze identischer Kristall, in den Sud: „Meine Arbeit, die des Züchters, ist getan, wenn das Animpfen ordentlich gelaufen ist.“ Der Computer übernimmt: Um 0,5 bis zwei Millimeter in der Stunde, mit fünf bis 20 Umdrehungen in der Minute hebt sich die um den „Keim“ kristallisierende Masse aus dem Tiegel. Für den Züchter beginnen Tage des Wartens.

 

Von Winfried Dolderer für Adlershof Journal
Erschienen: 03.01.2017 - Adlershof Journal, News

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